Geschichte des Monats: Refugium der Stille

Geschichte des Monats: Refugium der Stille

Ein Dorf. Ein Schiff. Und Italiens Grazien.

Dass der österreichische Cellist und Dirigent Heinrich Schiff (* am 18.11.1951 in Gmunden; 23.12.2016 in Wien) Zeit seines Lebens für die Musik brannte, rote Porsches und silberne Bentleys auf sämtlichen Pfaden und Abwegen so wie sich selbst auf den Konzertbühnen der Welt wiederholend ans Limit brachte, Tage wie Wochenenden mit wissbegierigen Musikstudenten am Attersee inklusive bestem Rotwein und selbstgekochtem Essen genoss, ist unter Kulturindividualisten mäßig, aber immerhin bekannt.

Dass er jedoch fernab des Ruhms ein Refugium der Stille und Abgeschiedenheit inmitten des Kärntner Gurktals, entlang der mit teils kräftigen, klangholztrotzenden Fichtenbäumen umsäumten Glödnitzer Schattseite besaß und über Jahrzehnte hinweg hütete, weniger. Zu Gast war dort so mancher. Studenten. Weggefährten. Nachbarskinder. Und Italienerinnen. Letztere etwa aus Cremona. Geboren im Jahre 1689 und 1711. Aus dem Hause Antonio Stradivaris. Und aus der Serenissima. Venedig. Erbaut von Domenico Montagnana. „Alte“ Ladys mit einer Klangvielfalt, welche bis heute mystisch wie unerreicht, ja manchmal fast schon zu hochgepriesen mit etlichen Millionen Wert am Korpus angesehene Cellisten Ton um Ton, Saite um Saite, Kadenz um Kadenz, über Jahrhunderte hinweg begleiten.

Mit neun Jahren lernte der gebürtige Glödnitzer Hans Petscharnig „Heini“ kennen. Er, das Nachbarskind, spähte eines Tages neugierig zu dem Gast hinüber, der ebendort mit dem schwarzen Qualm eines nicht lodern wollenden Holzfeuers kämpfte und dessen Entzünden letztlich nur mithilfe von Hans gelang. Eine ewig währende Freundschaft zündete zeitgleich. „Ich hatte mit Musik nichts am Hut, hörte ihm jedoch stets gebannt bei seinem Probenspiel zu. In Glödnitz konnte er er selbst sein.“ Nicht nur Hans fand Einlass in diesen Rückzugsort, als Professor des Cellospiels war Schiff bekannt dafür, seine Studenten nicht hauptsächlich in den starren Übungsräumen diverser Musikuniversitäten zu unterrichten. In Glödnitz vorerst und später in der Jeritza-Villa am Attersee, probten junge, aufstrebende Künstler emsig in unkonventioneller Kulisse. Da erklang in der sogenannten Schattseite ein alter Flügel, auf dem Schiff seine Interpretationen in eindringlicher Dynamik vermittelte, während seine Studenten ihm mit Inbrunst nacheiferten. Beethoven. Dvorak. Bach. Elgar. Alle waren sie im Gurktal in der Zeit von 1975 bis 2012 durch ihre Partituren anwesend und mit ihnen Instrumente, die über die Jahrhunderte hinweg, stetig den Wert steigernd, ihre Besitzer wechselten. Montagnanas „Sleeping Beauty“ aus dem Jahre 1739 hat mit Schiff ebenso den Weg dorthin gefunden, wie Stradivaris Celli aus 1698 und die eine Dame von 1711. Mara genannt. Jenes Cello, welches den Schiffbruch von 1963 schwer beschädigt überlebte und in mühsamen Handwerksstunden aus einem Haufen Kleinholz bestehend wieder zusammengeflickt wurde. Auferstanden mit und in einem Klang, welcher bis heute ungebrochen scheint.

Seine Studenten und Weggefährten erinnern sich nur zu gerne an die Zeit mit ihrem Mentor Heinrich Schiff in der Glödnitzer Schattseite, vulgo Pick. Ihnen soll nun das Wort gelten.

„Ein spezieller Wesenszug von ihm war seine Großzügigkeit. Glödnitz bedeutete für ihn Arbeits- und Rückzugsort in einem. Ein Zentrum, wo er sich mit Leuten verabredet hatte. Neben intensiven Probeneinheiten kam der Spaß nie zu kurz. Verbotene Fahrstunden in seinem Bentley, Baujahr 1956, gemeinsame Kochabende, er verstand es musikalisch wie im Leben, mit Konventionen zu brechen.“ Sebastian Bonhoeffer, ehemals Student, Cellist und Professor für theoretische Biologie

„Der Unterricht in Glödnitz war ein Ausbrechen aus dem normalen Studentenalltag in Salzburg. Die Ruhe als Kontrast zu der Hektik eines Berufsmusikers hat ihm ebendort zugesagt.“
Christian Poltéra, ehemals Student, Dozent und als Cellist mit „Mara“ vielfach ausgezeichnet

„Sein Umgang mit Schülern war großartig, locker und doch sehr bestimmt. Er lud sie regelmäßig nach Glödnitz und an den Attersee ein.“
Gert Meditz, langjähriger Wegbegleiter, Dirigent

„Das Haus in Glödnitz lag mitten im Wald und war schwer zu finden. Zweimal durfte ich ihn dort besuchen. Wir kochten gemeinsam, hörten viel Musik und übten intensiv.“
Michael Tomasi, ehemals Student, Cellist und Lehrender am Mozarteum Salzburg

„Er hat uns zur Freizeit und zum Unterricht nach Glödnitz eingeladen. Ich lernte ihm dort das Skifahren. Er war ein Freigeist und pflegte zu sagen: Man muss Musik nicht machen, sondern verkörpern.“
Mario Blaumer, ehemals Student, Cellist und Dozent an der Hochschule für Musik Saar.

Fotos: Schiffs Musizierhaus in Glödnitz ©Sabine Ertl; Protrait Heinrich Schiff ©Basta

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